Kapellen

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Pestkapelle

Marienkapelle auf dem Kirchplatz

„Gnadenkapelle zu Havixbeck“ wird die Marienkapelle auf dem Kirchplatz noch um 1900 genannt. Zu dieser Zeit sind die Wände der Kapelle noch mit vielen Dankesgaben versehen. An Marienfeiertagen wird die Marienklage, die Darstellung Marias als Mater Dolorosa (Schmerzhafte Mutter) mit dem Leichnam des vom Kreuz abgenommenen Jesus Christus auf dem Schoß, mit einem Mantel bekleidet, mit blauer Schärpe, an der einfache Votivgaben befestigt waren, geschmückt und mit einer schlichten mit bunten Glasperlen verzierten Krone auf dem Haupt als Königin (regina) geehrt. Nicht nur gläubige Havixbecker gingen zu dieser Kapelle, um Maria, die Mutter Jesu, zu verehren, beteten und baten um Erhörung ihrer Bitten: Ora pro nobis ist unter der Pieta in den Altartisch tief eingelassen. Geschichten von Gebetserhörungen werden erzählt, z.B. die des Franz Rawe, geboren am 12. April 1847 in Havixbeck. Da er sich nur sehr mühsam mit Krücken fortbewegen konnte, flehte er täglich in der Kapelle die Schmerzhafte Mutter an, sie möge sein Gebet erhören und ihm gesunde Beine schenken. Eines Tages konnte er tatsächlich die Kapelle ohne Krücken wieder verlassen. (So konnte Matthias Vennemann noch 1998 berichten.) Bis vor ein paar Jahrzehnten hingen die Krücken noch hinter dem Vesperbild an der Stirnwand der Kapelle. (s. Foto „Gnadenkapelle“)

Die Pieta steht auf einem sockelartigen Altartisch, auf dessen Vorderseite die Inschrift Audi nos nam te filius nihil negans honorat, salva nos Jesu pro quibus mater virgo te orat. Renovatum 1654 zu lesen ist. („Erhöre uns, denn Dich ehrt der Sohn, der Dir nichts abschlägt. Rette uns, Jesus, für die die Mutter, die Jungfrau, Dich bittet. Erneuert 1654“) Großbrände in den Jahren 1559 und 1591, Belagerungen und Plünderungen in der Zeit von 1568-1648 (spanisch-niederländischer Krieg, Dreißigjähriger Krieg) sollen dem Vesperbild wohl zugesetzt haben. Jedenfalls erstellte 1654 ein uns unbekannter Steinbildhauer von der spätgotischen Pieta aus dem 15. Jahrhundert eine Kopie. „Die Verschmelzung verschiedener Stilelemente lässt sich vielleicht so erklären: Die Havixbecker Schmerzhafte Mutter ist ein Gnadenbild. Da das Volk sein Gnadenbild gern wieder in der alten Gestalt sehen wollte, nahm der beauftragte Künstler das alte beschädigte Bild zum Vorbild.“ (Gertrud Stolte-Adelt, Wegebilder der Barockzeit im Münsterland, Wattenscheid 1936)

 

Die Kapelle wurde jedoch erst einige Jahre später errichtet. Aus der Inschrift über dem Türsturz, einem Chronogramm, ChrIsto IesV passo et eIUs MaterI DoLorosae („Für Jesus Christus, der für uns gelitten hat und für seine schmerzhafte Mutter“) lässt sich das Errichtungsjahr 1664 entnehmen, also zehn Jahre nach der Erneuerung der Skulptur. Das Chronogramm wird seitlich von zwei Wappen eingerahmt. Auf der linken Seite ist das Wappen der Familie von Twickel zu erkennen, auf der rechten Seite befindet sich das Wappen der Familie von der Reck zu Steinfurt, da Johann Beveren von Twickel, seit 1638 mit Wilhelma von der Reck zu Steinfurt verheiratet, diese Kapelle erbauen ließ. So unter Dach gestellt konnten auch noch zwei barocke Holzskulpturen (Heiliger Rochus, Heiliger Sebastian) auf den beiden Sandsteinpodesten links und rechts vom Altar Platz finden.

Im Laufe der letzten 350 Jahre hat die Kapelle einige Veränderungen über sich ergehen lassen müssen. Errichtet wurde sie als „kleiner rechteckiger Fachwerkbau mit über Knaggen auskragendem Walmdach.“ (Denkmalliste der Gemeinde Havixbeck, Nr. 18) Um 1900 ist das Fachwerk bereits mit einem Putz versehen und der Eingang besteht aus einer schlichten rechteckigen Doppeltür mit Rautenfenstern. 50 Jahre später sind Wände und Dach mit dichtem Efeu überwuchert und die Türen in den Farben des Hauses Havixbeck mit schwarzen Rahmen und jeweils 4x6 quadratischen weißen Kassetten erneuert. Die beiden Heiligenfiguren von Anfang des 17. Jahrhunderts sind, vielleicht um sie vor Feuchtigkeit und Diebstahl zu schützen, entfernt worden und befinden sich seit dem in der Antonius-Kapelle, der Hauskapelle, des Hauses Havixbeck.

Ende der 1980er Jahre ließ die Familie von Twickel die Kapelle umfangreich sanieren. Zum Abschluss dieser Renovierung wurde die schwarz-weiße Tür durch die neue rundbogige Doppeltür mit Rautenverglasung ersetzt.

Die Gründe zur Errichtung der Kapelle wie auch zur Aufstellung ihrer Skulpturen sind nicht überliefert.

Die Marienkapelle auf dem Kirchplatz wird im Volksmund häufig auch als Pestkapelle bezeichnet, obwohl kein Errichtungsgrund in direktem Zusammenhang mit der Pest überliefert ist. Einige Indizien sprechen jedoch dafür: Die Altarinschrift (s.o.) beinhaltet Zeilen eines alten Pestliedes, das bereits im 14. Jahrhundert bei Prozessionen gesungen wurde: O gloriosa stella maris, a peste nobis audi nos, nam te filius: nihil negans, te honorat. Salva nos, Jesu, pro quibus virgo mater te orat. Die beiden Holzskulpturen, die einst neben der Pieta auf dem Altartisch standen, verkörpern den hl. Rochus und den hl. Sebastian, die auch schon immer als Schutzpatrone gegen die Pest gelten. Außerdem verlor Johann Beveren von Twickel, der als erster Droste des Doppelamtes Rheine-Bevergern seinen Amtssitz in Rheine hatte, zwei seiner Töchter bereits als Kleinkinder 1644 und 1647 an der zu derzeit in Rheine herrschenden Pest.

Seit Beginn des 20. Jahrhunderts wurde diese Kapelle von der Familie Meyer, die direkt nebenan wohnte, betreut. Über 100 Jahre lang hat sie sich um Blumen- und Kerzenschmuck gekümmert und dafür gesorgt, dass dieser Ort der Stille stets mit offenen Türen zu Besinnung und Gebet einladen konnte. Da es immer häufiger zu wenig ehrfurchtsvollem Verhalten in der Kapelle kam, musste sie in den letzten Jahren verschlossen bleiben - für alle, leider auch für den, der bei der Schmerzhaften Mutter Schutz und Hilfe sucht oder auch nur in Stille bei ihr verweilen will.

Friedhelm Brockhausen, 01.08.2017